Wiesn-Tagebuch 2022
Täglich exklusiv im Münchner Merkur und in der tz: Das Wiesn-Tagebuch von Stephan Kuffler.
Samstag 01.10.2022
Kaum hat die Wiesn angefangen, ist es schon wieder Zeit für ein Resümee. Bis auf das Wetter war es eine herrliche und vor allem eine wichtige Wiesn, weil sie uns alle wieder einen großen Schritt in Richtung Normalität geführt hat. Die Kassenärztliche Vereinigung darf sich im Oktober wieder über gute Geschäfte freuen, jedoch ohne dass unsere Krankhäuser über die Maßen belastet sind. Also ist auch hier wieder alles beim Alten. Layla war doch nicht die Mutter der Apokalypse, eher noch die Mutter von Spider Murphys Rosie.
Am meisten hat mich gefreut, dass man so viele alte Gesichter gesehen hat, seien es Wiesnbeschicker oder Gäste. Manchmal musste ich zwar ziemlich tief in meinem Gedächtnis schürfen, aber nur einem Herrn war zuzugestehen, dass es wohl für ein Wiedererkennen deutlich zu lange her sei. Er meinte dann, ich sei doch der Herr Streumann, woraufhin mir einiges klar wurde.
Schau ma mal, was nächstes Jahr wieder los ist.
Freitag 30.09.2022
Leider kommt es auf der Wiesn bisweilen zu Taschendiebstählen. Nach drei Jahren erfährt auch dieser Geschäftszweig einen konjunkturellen Aufschwung, wobei ich dieser Branche gegenüber sehr missgünstig eingestellt bin. Stets weisen wir unsere Gäste darauf hin, ihre Utensilien im Auge zu behalten, und die Taschendiebfahndung der Wiesnwache tut das ihre dazu.
Nun erreichte uns eine etwas irritierende E-Mail. Aus einer vermutlich riesigen Handtasche seien „Hausratsartikel" entwendet worden, wie unter anderem ein Kaschmirpullover, eine Sonnenbrille, eine Trachtenjacke, ein Cap, und alles natürlich von Luxusmarken. Der Hausratsversicherer habe die Opfer angewiesen, uns dafür haftbar zu machen. Als Wiesnwirt ist man es ja gewohnt, an vielem schuld zu sein, inklusive dem schlechten Wetter, aber das hier führt denn doch zu weit! Für Diebstahl sind immer noch die Diebe selbst haftbar zu machen und dabei würde ich es gerne belassen.
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
Donnerstag 29.09.2022
Leider mussten wir gestern die Polizei rufen, weil drei gestandene Chiemgauer Mein und Dein verwechselt haben. Im echten Leben sicherlich nette Burschen, fand es die Mannschaft an der Gartenbar aber gar nicht lustig, als die drei eine Flasche Melonenlikör gemopst hatten. Übrigens ein bappsüßes Zeug mit künstlichem Geruch, das allenfalls zur Herstellung von Cocktails geeignet ist.
Die drei Delinquenten waren natürlich von engelsgleicher Unschuld und sahen nicht ein, dass sie die leere Flasche bezahlen mussten. Auch entsprach das Niveau der Diskussion deren Alkoholisierungsgrad. Einer wollte mittels Alkoholtest beweisen, dass er nur 5 Maß Bier, aber keinerlei Schnaps intus habe. Der andere trinke überhaupt keinen Schnaps mehr, seitdem er seinem Opa bei dessen 70sten Geburtstag auf den Tisch „aufi brunzt" hat. Die Kollegen in blau waren gegenüber dieser Beweisführung überraschend verschlossen und nahmen die Kameraden kurzum mit.
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
Mittwoch 28.09.2022
Sachen gibt's! Da fragt doch tatsächlich Rüdiger H. bei der Bräurosl an, ob er sich die Kapelle Josef Menzl ausborgen könne. Er sei mit Kunden in einem gewissen Weinzelt und fände es schön, wenn die ganze Kapelle dahin käme, um sein Lieblingslied zu spielen: Heit is mei Oide g'storbn.
Hierzu gibt es einige beunruhigende Fakten, die ich gerne offenlegen möchte:
1.) Weiß die Kripo von seinen Vorlieben und wie geht es eigentlich seiner Frau?
2.) Was glaubt denn der, was die offensichtlich hochsensiblen Gäste der Bräurosl sagen, wenn dort auf einmal gar keine Musik mehr gespielt wird?
3.) Wenn wirklich die ganze Blaskapelle in unserem vergleichsweise kleinen Zelt ihre mächtigen Instrumente anstimmt, wäre ein Orkan wie ein Geschenk dagegen. Die Zeltplane könnte man dann weiträumig suchen, nur nicht mehr auf unserem Dachstuhl, wo sie schließlich hingehört.
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
Dienstag 27.09.2022
Michal, eine junge Frau, die nach ihrem Studium an der Popakademie gerade die Sozialen Medien mit ihrer Musik im Sturm erobert, war auf der Weinzeltbühne. Unsere Tochter kannte sie natürlich gleich, wohingegen wir Älteren da immer etwas Nachhilfe brauchen. Es war erst Michals zweite Liveperformance, aber Bühnenpräsenz hat sie allemal und singen kann sie auch.
Patrick Lindner, guter Freund und häufiger Gast, war so begeistert wie ich von Michals frisch-frechem Auftritt. Eigentlich war fast das ganze Zelt entzückt, außer einer Box im Mittelschiff. Weiß der Kuckuck, was mit denen los war, aber gebrüllt und geschimpft haben die, dass ich schon Sorgen vor einem Massenschlaganfall hegte. „Wir zahlen da herinn' und dann muss man sich sowas bieten lassen!" Ein bissl mehr Toleranz hätte ich mir von meinen Gästen schon gewünscht, aber zum Glück sind die meisten Wiesngäste von Haus aus gut drauf.
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
Montag 26.09.2022
Michi Käfer erzählte mir heute von den Höhen als Wiesnwirt und dem tiefen Fall, den er sehr schmerzhaft erleben musste. Vorgestern kam ein besonders fesches Mädel auf ihn zu und wollte wissen, ob er Single sei. Nachdem er seinen Ehering präsentiert hatte, meinte die Schönheit, er möge seiner Frau ausrichten, wieviel Glück sie mit so einem gutaussehenden Mann an ihrer Seite habe.
Der tiefe Fall kam in Form einer anderen Dame auf ihn zu, die wohl freundlich sein wollte: „Herr Käfer, ich bewundere Ihr Lebenswerk, auf welches Sie zurückblicken können." Dass ein durchaus fortgeschrittenes, seniorengleiches Alter mit einem solchen Kompliment zwingend verbunden sein muss, war ihr vermutlich nicht klar. Aber Eigenwahrnehmung und Fremdwirkung divergieren häufig, wie auch im Fall von Antje Haberl, Ochsenbraterei. Selbst überglücklich, endlich wieder auf der Wiesn sein zu dürfen, sagte ein Gast zu ihr: „Du hast aber heut ein böses G'schau."
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
Samstag 24.09.2022
Für mich hat das Oktoberfest jetzt erst richtig angefangen und zwar mit einem ordentlichen Wiesnkatarrh. Der gehört immer dazu und ich bin viel lieber in der ersten Woche malad als in der zweiten.
Schade war aber, dass ich heute Früh zum obligatorischen Test nebst anschließender Infusion musste, statt direkt auf die Wiesn zu fahren. Für heute hatte nämlich mein Freund Christian Schottenhamel einen vormittäglichen Besuch avisiert. Hintergrund dazu ist die Vorstellungsrunde der Wiesnwirte auf Insta und Facebook. Da hatte ich mir ein kleines Scherzchen mit den Schottenhamels erlaubt und der Christian wollte heute zum Gegenschlag ausholen. Das macht aber nur Sinn, wenn der Wirt, den man quälen will, auch im Zelt ist.
Jetzt wurde die Sache auf Montag verlegt und man darf schon gespannt sein, was der Christian vorhat. Ich bin kein Masochist, aber für einen guten Witz bin ich immer zu haben und recht wehrhaft bin ich außerdem auch.
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
Freitag 23.09.2022
Dieter ist ein Münchner Urgestein, spricht ein wunderschönes Bayerisch, hat ein Stimmorgan wie eine Fanfare, arbeitet für drei und kann trinken für fünf. Er ist im besten Sinne rustikal, aber manchmal auch ein bissl zu handfest und als Sechzigerfan geht er sowieso keinem Streit aus dem Weg. Mit einem Wort, ein echtes Mannsbild, wenn man das heute noch so sagen darf.
Im Vorlauf ist er für den Aufbau unserer Küche mitverantwortlich und während der Wiesn für Logistik und Stewarding zuständig. Yussuf hingegen steht an unserer Weinschänke, ist aber im echten Leben Friseur.
Und jetzt kommt's: Gestern konnte ich das Wiesnfoto meines Lebens machen, als Yussuf dem Dieter im Werkstattcontainer die Haare geschnitten hat! Dieter hat gebrüllt wie ein angestochener Ochse, weil eines will so ein Mannsbild nicht: Ein Foto von sich mit goldenem Latzerl und gebürschtelt wie Mamas Liebling.
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
Donnerstag 22.09.2022
Was ist denn da in der Bräurosl und bei dem neuen Wirt Peter Reichert los? Ich weiß es auch nicht genau, und ich kehre ohnehin lieber vor meiner Tür, wo es immer reichlich Arbeit gibt. Der Peter muss sich jetzt aber auch noch schimpfen lassen, weil er seinen Gästen ausschließlich traditionelle Blasmusik bietet!?
Stets wurden jene Wirte auf der Wiesn stigmatisiert, die „aufreizende" Rhythmen zuließen, anstatt die Masse ihrer Gäste mit der Schützenliesl vor die Tür zu treiben. So dürfen ausschließlich traditionelle Blaskapellen den ganzen Tag mit 90 Dezibel spielen, allen anderen ist Zimmerlautstärke bis 18 Uhr auferlegt. Das gilt selbst für volkstümliche Schlagermusik.
Und nun wird der Peter Reichert, selbst Musiker mit Herzblut, an den Pranger gestellt und mit digitalen Tomaten im Internet beworfen. Ich finde das einfach nur gemein.
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
21.09.2022 Mittwoch
Heute möchte ich eine kleine Gebrauchsanweisung für die Wiesn geben, was aufgrund vieler Ersttäter und drei Jahren Pause sehr angebracht scheint:
Bitte verwechselt das Münchner Oktoberfest nicht mit Karneval oder anderen Mottopartys. Wir tragen unsere Tracht ganzjährig zu verschiedensten Gelegenheiten und freuen uns herzlich über Gäste, die es uns gleichtun. Auch wenn manch einer sich in Lederhosen und Dirndl verkleidet vorkommen mag, rechtfertigt das keinesfalls Auftritte als Weihnachtsmann (gibt's in Bayern eh nicht!) oder Frau Holle. Was in Köln zum guten Ton gehört, führt hier zu Irritation und trifft nicht auf Gegenliebe.
Auch der Umgang mit einer Maß Bier will gelernt sein, die nämlich ein Bierkrug und keine Kaffeetasse ist. Deshalb führt man beim Trinken die ganze Hand durch die „Schlaufe". Eine Ausnahme darf beim Anstoßen gemacht werden, das wiederum kräftig, aber keinesfalls zum Schaden des Kruges durchgeführt wird.
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
20.09.2022 Dienstag
Manchmal merkt man schon, dass es drei Jahre lang kein Oktoberfest gegeben hat. Viele neue Gesichter tauchen auf und das nicht nur bei all den Beschäftigten in Zelten, Standeln und Fahrgeschäften.
Dies hat auch Peter Inselkammer erfahren. Ohnehin hat er während der 17 Tage eine Doppelbelastung als Gastgeber der Armbrustschützen und Sprecher der Wiesnwirte. Ganz Gentleman sprach er dennoch eine etwas verloren wirkende Dame an, ob er ihr behilflich sein könne. Das Angebot traf auf größte Dankbarkeit, da es sich um die nagelneue Wiesnreporterin einer Münchner Zeitung handelte, welche offensichtlich wenig bis gar keinen Plan vom Münchner Oktoberfest hatte. Mein Freund Peter schlug vor, ihr direkt ein paar von den Herrschaften vorzustellen, die man auf der Wiesn kennen sollte. Hochbegeistert meinte sie trocken:" Phantastisch, danke – da fangen wir doch gleich mal mit Ihnen an."
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
19.09.2022 Montag
Am ersten Wiesntag hatte ich zwei sehr wichtige Missionen zu erfüllen.
Mission 1: Vormittäglicher Anruf der Festleitung, ob wir ein mobiles Personalklo mitten auf die Matthias-Pschorr-Straße gestellt hätten. Tatsächlich stand ein Bauklo zwischen Löwenbräu-Festhalle und Weinzelt. Nachdem erfolglos alle Nummern angerufen worden waren, die auf dem WC standen, war guter Rat teuer. Kurzerhand haben wir den Fremdcontainer mittels Hubwagen in den Südteil verfrachtet, wo er immer noch bestaunt werden kann.
Mission 2: Anruf von Achim Schmidt, Fotograf für Münchner Merkur und TZ, ob ich Zeit hätte, das Wiesnteam der beiden Zeitungen, die dem geneigten Leser wohlbekannt sein dürften, zu fotografieren. Als begeisterter Hobbyfotograf war ich natürlich hochgeehrt und schloss auch diese Mission (hoffentlich) erfolgreich ab. Danke für das Vertrauen.
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
17.09.2022 Samstag
Endlich dürfen wir Wiesnwirte wieder in unseren angestammten Lebensraum zurückkehren, sagte kürzlich Peter Inselkammer, Wirt vom Armbrustschützenzelt und Sprecher unserer Gilde. Nicht wenige wollten wissen, was ein Oktoberfestwirt die vergangenen drei Jahre außerhalb seines Biotops getrieben hat. Lustig war das nicht. Wenn sich aber zwei Wiesnwirte trafen, gab es meistens auch etwas zu Lachen. So geschehen diesen Frühsommer, als mich zwei sehr freundliche Kollegen der Münchner Polizei auf meinem Fahrrad aufgehalten hatten: Kostenpunkt 55 Euro für Telefonieren während der Fahrt. Ein durchaus teurer Spaß und ich hatte den Eindruck, dass der Polizist auch mitleidig war. Während er mir enthusiastisch erläuterte, dass man neuerdings auch mit Kreditkarte zahlen könne, rief seine Kollegin in unserem Rücken: „Schau, da kommt noch so einer mit dem Handy am Radl daher. Den halte ich gleich mal auf." Nachdem der junge Schandi so begeistert von der neuen Möglichkeit der Kartenzahlung war, machte ich ihm halt die Freude, das Finanzielle dergestalt zu regeln.
Als ich mich dann umdrehte, sah ich den zweiten Missetäter, welchen die Kollegin gerade aufgehalten hatte, und musste spontan losprusten: „Du Depp!" Die Antwort kam prompt zurück: „Selber Depp!" Mein Kollegenfreund Michael Schottenhamel war direkt hinter mir in dieselbe Falle gegangen und beide konnten wir vor Lachen kaum noch reden. Endlich beruhigt, fragte ich die leicht irritiert dreinblickenden Polizisten, ob sie ungefähr wüssten, wer ihnen da gerade in die Fänge geraten war. Nicht die leiseste Ahnung hatten sie, also stellte ich uns ordentlich mit Zeltnamen vor. Jetzt verstanden sie unsere absurde Reaktion, was auch gut war, ansonsten hätten sie bei den beiden Spinnern, also Michael und mir, wohl ein Drogenscreening angesetzt. Abschlusslacher und Ende der Geschichte.
Nachwort: Wenn ein junger Schandi hört, ein Wiesnwirt wurde heute während der Fahrt mit dem Handy am Ohr erwischt, würde er wohl mindestens an ein Fahrzeug der gehobenen Oberklasse denken, keinesfalls an einen fadenscheinigen Drahtesel.
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.