Wiesn-Tagebuch 2023
Täglich exklusiv im Münchner Merkur und in der tz: Das Wiesn-Tagebuch von Stephan Kuffler.
Montag 02.10.2023
Die Wiesn neigt sich dem Ende zu und nach 17 Tagen zollt sie ihren Tribut. Kaum einer, der noch kein Wehwehchen oder zumindest eine Erkältung hat. Also werden die letzten Tage Gesundheitstipps, insbesondere zur Prophylaxe, ausgetauscht. Natürlich hat jeder ein noch besseres Geheimrezept, aber wenn die so großartig funktionieren, muss ich fragen, warum dann alle kränkeln. Ich vertrete einen anderen Standpunkt: Ich nehme lieber gar nichts im Vorfeld. Denn wenn ich was nehme, wenn ich noch nichts habe, habe ich nichts mehr, was ich noch nehmen kann, wenn ich was habe.
Einen wunderschönen Wiesntag haben wir noch vor uns, weshalb es für den Abgesang eigentlich zu früh ist. Aber wenn das Fest so zu Ende geht, wie es die letzten 17 Tage war, können wir auf eine der besten, friedlichsten und wetterstablisten Wiesn zurückblicken, an die ich mich erinnern kann. Ich freue mich schon auf nächstes Jahr, wenn es wieder heißt:
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
Samstag 30.09.2023
Kaum ist man zwei Tage mit Schüttelfrost außer Gefecht gesetzt, hat man schon wieder etwas verpasst. Zumindest kann ich mich nicht erinnern, dass es vergangenen Dienstag einen Klamottenstand auf dem Parkplatz im Südteil gab. Immerhin gibt es jetzt endgültig keine Ausreden mehr dafür, unpassend gekleidet auf die Wiesn zu kommen.
Dass ich zwei Tage meines heißgeliebten Oktoberfestes verpasst habe, gab es noch nie! Schuld daran ist im Grunde mein Bruder Sebastian, bei dem ich mich aufrichtig dafür bedanken möchte. Hätten er und das ganze Team um Sophie unser Zelt nicht so gut im Griff, wäre ich zuhause vermutlich durchgedreht. Unsere Mutter hat sich in meinem Alter und mit ähnlichen Symptomen auf die Wiesn geschleppt und eine chronische Herzmuskelentzündung davongetragen. So etwas passiert mir nicht, denn ich habe gar kein Fieber mehr, seitdem ich es nicht mehr messe.
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
Mittwoch 27.09.2023
Meine Freundin Katharina Inselkammer vom Armbrustschützenzelt ist immer gut für nette Anekdoten und heute geht es um Sprachbarrieren. Ein Gast verlangte auf Englisch nach seinem „Guest Jackett“. Kathi versuchte ihm klarzumachen, dass die Jacken tendenziell für Mitarbeiter und nicht für Gäste seien. Aber er bestand auf seinem schwarzen „Guest Jackett“. Schwarz seien sie und hinten stehe Armbrustschützen drauf, aber für Gäste seinen sie nicht. Die Diskussion nahm kein Ende, sodass Kathi sich schon fast erweichen ließ. Auf die Frage, welche Größe er denn brauche, sagte er ganz klar: „Meine Größe!“
Man parlierte weiterhin auf Englisch miteinander, kam aber der Lösung des Problems kein Stück näher in all dem Trubel und der Lautstärke auf der Wiesn. Als er offensichtlich doch keine Kellnerweste wollte, überkam Kathi eine Eingabe: Er hatte seine schwarze Jacke der Firma Guess verloren und diese war tatsächlich unter den Fundsachen.
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
Dienstag 26.09.2023
Am Wochenende waren ein paar legendäre Burschen bei uns, nämlich die Organisatoren des „Wacken Open Air“. Zu vorgerückter Stunde hatte ich ein interessantes und vor allem völlig normales Gespräch mit einem der Jungs. Unterhaltungen auf diesem Niveau sind abends eher unüblich, umso mehr habe ich es genossen. Allerdings stellte sich später die Frage, ob jemand derart nüchtern überhaupt ein guter Gast sein kann. Wiesnwirten kann man es scheinbar nie recht machen.
Ein anderes Highlight waren vier Ragazzi aus Volterra, die seit über zehn Jahren in Kufflers Weinzelt kommen. Weil sie es so lieben, hat sich einer der vier tatsächlich unser Logo auf seinen rechten Bizeps tätowieren lassen. Aber damit nicht genug, schmückt seinen linken Oberarm der zwinkernde Weinzelt-Skull! Ehrensache, dass ich ein paar Runden springen ließ, obwohl sie das zunächst ganz bescheiden ablehnen wollten. Das Beweisfoto gibt es hier.
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
Montag 25.09.2023
Seit dem Jahr 1981 kommt jedes Jahr kurz vor der Wiesn ein goldenes Engerl in die Ochsenbraterei geflogen, sucht sich einen Platz und lässt sich nieder. Den Ort sucht das Engerl nicht willkürlich aus, vielmehr hat es stets eine tiefere Bedeutung. Aufgabe der Festwirtin Antje Haberl ist es dann alljährlich beim Richtfest, das Engerl zu finden, doch heuer hat sie sich dabei schwergetan.
Komischerweise wissen die Handwerker immer, wo das Engerl ist. Nach einigem Betteln erklärten sie sich bereit, ihrer Wirtin den Ort zu verraten, aber Antje verstand zunächst nicht ganz, was dieser Platz bedeuten könne. „Welcher Nachbar fehlt denn heuer, mit dem Du Dich immer austauschen und gute Gespräche führen konntest?“. Da wurde Antje klar, dass das Engerl heuer genau dahin schaut, wo Bodo Müller, der leider im Mai gestorben ist, sein Cafézelt hatte. Eine Wiesngeschichte, die ans Herz geht und, wie ich finde, eine erzählenswerte Tradition ist.
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
Samstag 23.09.2023
Unser Kellner Christoph erregte eine Aufmerksamkeit, mit der er nicht gerechnet hat. Er trug nicht gerade günstige Lederschuhe, deren Design durchaus an eine Ananas erinnern konnten. Nach einigen sonderbaren und irgendwie zu netten Anmerkungen wurde er aufgeklärt, und auch ich habe wieder etwas dazugelernt. Die Ananas scheint in gewissen Szenen ein Symbol für sexuelle Offenheit und Freude an Partnertausch zu sein. Diese Schuhe wird er zumindest auf der Wiesn so schnell nicht mehr tragen.
Gestern habe ich über Ausreden auf dem Oktoberfest berichtet und darüber, dass wir die meisten schon gehört haben. Jetzt gab es eine neue Ausflucht, als es darum ging, die Rechnung zu begleichen: Eine von zwei großen Champagnerflaschen wollten die Gäste nicht bezahlen. Die Begründung war, die zweite sei nur als Dekoflasche für Fotos bestellt worden. Dass beide ausgetrunken waren, machte die Erklärung nicht wirklich glaubhafter.
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
Freitag 22.09.2023
Wer fantastische Fotos von der Wiesn sehen will, dem empfehle ich den „Exithamster“ auf Instagram. Gestern hat er uns im Zelt besucht und direkt auf dem Häusel ein Foto gemacht. Mit Lippenstift stand auf das Pissoir geschrieben: „I love you“. Dieses Foto gibt es allerdings auf weinzelt.com.
Wir hören viele Ausreden, warum man in ein geschlossenes Zelt muss. Hier hatten wir schon einen vermeintlichen „Exekutor“ des Finanzamts, ganz viele Ehefrauen meines Bruders Sebastian und meiner Wenigkeit oder Undercover Agenten des FBI. Gestern sprach ein Herr unseren Gartenleiter Tom an, er müsse ins Zelt, um seine große Reservierung für morgen klar zu machen. Außerdem kenne er den Herrn Kuffler bestens. Da fragte Tom spontan, welchen der beiden er kenne, Robert oder Markus. Den Robert natürlich, kam prompt als Antwort. Diese beiden Vornamen gibt es nicht einmal in unserer erweiterten Verwandtschaft.
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
Donnerstag 21.09.2023
Fundsachen auf der Wiesn sind ein eigenes Kapitel, welches im offiziellen Abschlussbericht der Landeshauptstadt auch stets entsprechend gewürdigt wird. Darunter befinden sich immer wieder Rollstühle, Krücken und dritte Zähne in Form von ganzen Gebissen. Die ersten beiden werden gerne dem Umstand zugeschrieben, Oktoberfestbier wirke Wunder.
Bei Familie Inselkammer im Armbrustschützenzelt blieb gestern eine Multifunktionsjacke liegen, die durch ihr ungewöhnlich hohes Gewicht auffiel. Man argwöhnte schon, ein Ziegelsteinhändler sei Inhaber des Kleidungsstücks. Aber gut beraten ist, wer weiß, was in seinem Zelt herumliegt, um anschließend ins Fundbüro zu wandern. Um es kurz zu machen: Baumaterial befand sich keines in besagter Jacke, aber mehrere große Flaschen Herrenparfüm. Rein spekulativ meinte Wiesnwirtin Katherina, der Inhaber lege je nach Frauentyp einen anderen Duft auf.
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
Mittwoch 20.09.2023
Es gibt Menschen, die schon auf der Wiesn gearbeitet haben, als ich noch gar nicht auf der Welt war. Zugegeben, das werden aufgrund meines fortschreitenden Alters zusehends weniger, aber ein paar gibt es noch. Auch ich kann mir nicht vorstellen, wie das eines Tages sein soll, wenn ich nicht mehr hier sein kann. Nic aus Box 9 zum Beispiel ist längst promovierter Jurist, aber der Wiesnvirus lässt ihn nicht aus.
Und da ist unsere Christine, die so viele Jahre abends die Stellung im Büro gehalten hat, dass niemand mehr weiß, wie das ohne sie war. Aber heuer muss sie leider aus gesundheitlichen Gründen aussetzen und wird nicht nur vom ganzen Team, sondern auch von vielen Gästen vermisst. Mit ihrem sonnigen Gemüt und ihrer Geduld hat sie in mancher Situation verwirrte Persönlichkeiten wieder auf Kurs gebracht und zu glücklichen Gästen gemacht. Liebe Christine, werde rasch wieder gesund!
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
Dienstag 19.09.2023
Für Promis aller Kategorien des Alphabets ist die Wiesn wie ein Magnet und eine Bühne, auf der man sich ob der hohen VIP-Dichte schon ein bisserl nach vorne drängeln muss. Manche kommen mit privater Security – je unwichtiger umso mehr davon – und die Pfiffigsten bringen ihr eigenes Drehteam mit. So auch Mörtel Lugner, der Tycoon des Wiener Opernballs, den ich gestern über die Wiesn laufen sah. Respekt vor dem Mann, denn er ist über 90 Jahre alt. Zuerst dachte ich, er habe seine Enkelkinder im Schlepptau, aber es war eben eines jener privaten Kamerateams, die jedem Wiesnauftritt den entsprechenden Glamour verleihen.
Dass Türstehern Geld angeboten wird, um in begehrte Hotspots zu kommen, ist ein alter Hut. Nach diesem Motto hat ein sehr moderner Zeitgenosse unserem Oli, der nur zufällig zum Luftschnappen draußen war, Geld gegen Einlass geboten. Aber jetzt kommt es: Er wollte mit Kreditkarte zahlen.
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
Montag 18.09.2023
Der erste Wiesntag ist immer eine Herausforderung. Trotz aller Checklisten und Routine bleibt es nicht aus, dass Kleinigkeiten übersehen werden. Bezüglich der Bestellmengen orientiert man sich praktischerweise am Verbrauch des Vorjahres. Allerdings herrschten letztes Oktoberfest gefühlte Minusgrade. In der Folge mutierten beispielsweise Mineralwasser und Eiswürfel heuer zu Topsellern, was die Telefonleitungen zwischen den Zelten zum Glühen brachte. Man hilft sich gerne untereinander aus, aber wenn alle das gleiche Problem haben, kommt man nicht weit.
Dann gibt es noch die Sorte „brillanter Kopf“, welche gerne am ersten Tag mitten im größten Getümmel Verkaufsgespräche führen will. Wie zum Beispiel der Herr, der unseren Gartenleiter Tom akribisch befragte, ob all unsere Speisen auf Porzellan serviert würden. Am Ende der Fragestunde stellte sich heraus, dass er mit Brotzeitbrettern handelte.
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.
Samstag 16.09.2023
Ein herrliches Wiesngefühl stellt sich bereits in der Woche vor dem Anzapfen ein und auch die Medien interessieren sich bereits für alles rund um das Oktoberfest. Deswegen war ich von Dominique Knoll am Mittwoch auf die Blaue Couch des BR eingeladen. Von der Theresienwiese zum Rundfunkplatz wäre es mit dem Radl ein Katzensprung, wenn meine Gangschaltung keine krachenden Geräusche abgesondert hätte. So etwas nervt, lenkt ab und kurz vor der Donnersbergerbrücke schrie jemand hinter mir laut „Achtung“, wohl um mich auf einen rückwärts ausparkenden LKW aufmerksam zu machen. Der folgende Bremsversuch führte zu einem unfreiwilligen Abstieg über die Lenkstange und endete mit aufgeschürftem Knie am Boden. „Gar nicht schlimm“, ist dann immer das Erste, was man sagen muss. Und so machte ich die Bekanntschaft mit dem Betriebsarzt vom Bayerischen Rundfunk, der sich der kleinen Abschürfung mehr als sorgfältig annahm.
Schau ma mal, was morgen wieder los ist.